Da die Diskussion über Windenergie in der Stadt Warstein in den vergangenen Wochen erneut aufgekommen ist, möchten wir – „Warsteiner Liste“ und „Bündnis 90/Die Grünen OV Warstein“ sowie die gemeinsame Ratsfraktion – unseren Standpunkt zu diesem vielschichtigen Thema im Folgenden einmal ausführlicher darlegen.
Warum gerade jetzt?
Der Rat der Stadt Warstein hat im Januar 2019 beschlossen, eine Änderung des Flächennutzungsplans (FNP) durch ein hierauf spezialisiertes Planungsbüro erarbeiten zu lassen, in dem „Konzentrationszonen“ für die Windenergie ausgewiesen werden [1]. Ziel einer solchen Planung ist die objektiv nachvollziehbare Abgrenzung von Flächen, welche prinzipiell für die Windenergie genutzt werden können. Es werden dabei einheitliche Kriterien auf das gesamte Stadtgebiet angewandt, neben ökologischen Aspekten (Artenschutz, Umweltverträglichkeit, etc.) auch z.B. Abstandsregelungen zu Siedlungen oder touristischen Zielen. Zu betonen ist aber, dass ein FNP zunächst nur grobe Leitplanken setzen soll, die tatsächliche Errichtung von Windenergieanlagen (WEA) erfordert eine explizite Beantragung mit deutlich tiefergehenden Überprüfungen. Nach über zwei Jahren im Prozess aus Planung und politischer Beratung bleibt nun festzuhalten, dass der vorliegende Planentwurf [2] absehbar nicht rechtssicher genehmigt werden wird. Diese Befürchtung hatten wir in der Stadtentwicklungsausschuss-Sitzung im Oktober 2020 bereits deutlich gemacht, der Plan wurde mit Stimmen von CDU und SPD dennoch so auf den Weg gebracht. Wie es aussieht, haben wir mit diesen Bedenken Recht behalten: Aus mehreren Einwendungen – im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung können diese von Behörden, Institutionen oder auch Bürgern eingereicht werden – geht hervor, dass z.T. von planungsrechtlichen Vorgaben und der geltenden Rechtsprechung abgewichen wurde (z.B. [3], [4]). Aufgrund der großen fachlichen Expertise des beauftragten Büros WWK gehen wir davon aus, dass hier keine Planungsfehler, sondern eher die mehrheitliche politische Interessenlage in Warstein eine Rolle gespielt hat. Im Ergebnis ist jedenfalls zu erwarten, dass die Stadt das planerische „Heft des Handelns“ hinsichtlich der Anlagenstandorte aus der Hand gibt. Das im Vorfeld überparteilich formulierte Ziel, durch den angepassten FNP einen „Wildwuchs“ zu verhindern, wäre verfehlt und der getriebene Arbeits- und Kostenaufwand somit weitgehend vergebens!
Sind wir als WAL/Grüne hinsichtlich der Verweigerung von Windenergie im Wald „umgefallen“? Betreiben wir gar Lobbyismus für WestfalenWind?
Nein. Zwar stimmt es, dass wir als WAL im Jahr 2016 gemeinsam mit den anderen im Stadtrat vertretenen Parteien und Gruppierungen eine Resolution gegen „Windkraft im Arnsberger Wald“ unterzeichnet haben [5]. Anders als der Großteil der politischen Konkurrenz haben wir allerdings auch stets und frühzeitig aktiv nach alternativen Ausbaumöglichkeiten für die Windenergie – beispielsweise auf dem Haarstrang – gesucht, statt es bei dieser kategorischen Verweigerungshaltung zu belassen. Nun hatte sich im FNP-Verfahren bereits seit Längerem herauskristallisiert, dass man in Warstein nicht um Vorrangflächen im Wald herumkommen würde, wenn man der gesetzgeberischen Vorgabe nach „substanziellem Raum für Windenergie“ nachkommen wolle. Der vom Büro Lederer erstellte „Artenschutzrechtliche Fachbeitrag zur 68. Änderung des FNP“ lieferte zudem die Erkenntnis, dass zahlreiche Suchräume in Waldbereichen voraussichtlich deutlich geringeres Konfliktpotenzial mit einer Windenergienutzung hätten als die „Haar“ [6, S. 32ff]. Zeitgleich entwickelte sich der Zustand des Waldes aufgrund von Dürre und Borkenkäfer z.T. verheerend, was als klares Zeichen für die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels zu deuten ist. Diese grundlegende Änderung der Randbedingungen gab uns vor über einem Jahr den Anlass, eine Neubewertung der Lage vorzunehmen mit dem Ergebnis, die Nutzung von Flächen im Arnsberger Wald für Windenergie nicht mehr pauschal auszuschließen. Das Ganze war und ist für uns ein interner Abwägungsprozess, bei dem die Argumente aller betreffenden Seiten gehört werden. Latent von einzelnen Mitgliedern der „Bürgerinitiative gegen den Windpark im Arnsberger Wald“ in den Raum gestellte Vorwürfe von Verbindungen zum Rennweg-Projekt der WestfalenWind weisen wir jedoch als unzutreffend entschieden zurück.
Besteht denn nicht ein Widerspruch zwischen der Windenergie und Artenschutz?
In der Tat stellt die Errichtung von Windenergieanlagen einen Eingriff in die Umwelt dar – wie auch jede andere Form der Energiegewinnung bzw. menschlichen Handelns im Allgemeinen. Insbesondere wir als Grüne müssen das ernst nehmen, können durch unser Kernthema Ökologie in solchen Fragen allerdings auch auf umfassende Erfahrungen zurückgreifen. Auch im Arnsberger Wald sprechen Artenschutz-Gesichtspunkte, so das Lederer-Gutachten, nicht prinzipiell gegen die Ausweisung von Vorrangzonen für Windenergieanlagen. Eine besondere Betrachtung erfordert allerdings die bei uns vorhandene Population des Schwarzstorchs, die als Schwerpunktvorkommen in NRW gilt. Die Tiere werden als „störungsempfindlich (und nicht kollisionsgefährdet) gegenüber WEA-Betrieb“ eingestuft und „der engere Horstschutzbereich mit 500m Radius im Umfeld der Schwarzstorchhorste ist von Windenergieanlagen freizuhalten“. In einem Umkreis von 3000m sind jedoch Anlagen generell möglich, wenn im Rahmen der Bauantragsprüfung den Artenschutz sicherstellende Vermeidungs- und CEF-Maßnahmen festgelegt werden. [6, S. 9f] So bietet die Anlagentechnik mittlerweile durch Kamerasysteme die Möglichkeit, bei Annäherung von Vögeln die Anlage automatisch abzuschalten. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass auch bei Angaben zum Flächenbedarf teilweise maßlos übertrieben wird. Lediglich die Zuwegungen und ein definierter Radius direkt um die Anlagenstandorte sind im befestigten Zustand (Schotter) dauerhaft freizuhalten, ansonsten können die angrenzenden Bereiche vollständig – ökologisch überwiegend wertvoller – aufgeforstet werden. Die „CO2-Senke“ Wald bleibt erhalten bzw. wird gestärkt! Nach dem Ablauf der Nutzungszeit werden die WEA zurückgebaut und der Ursprungszustand kann hier ebenso wiederhergestellt werden. Der populistische, vermeintliche Gegensatz "Windenergie vs. Artenschutz" ist also fachlich unbegründet. Letztlich wird der Hinweis auf den Artenschutz des Öfteren als Vehikel missbraucht von Menschen, die der Windenergie aus anderen Gründen ablehnend gegenüberstehen.
Was ist mit Infraschall?
Eine weitere Behauptung besagt, dass der durch Windenergieanlagen erzeugte Infraschall zu Gesundheitsproblemen wie Hörschäden oder Herz-Kreislauf-Beschwerden beiträgt ¬– dies ist aus wissenschaftlicher Sicht jedoch nicht haltbar. Auch hierzu eine kurze Erläuterung: Als „Infraschall“ werden Schallwellen mit einer Frequenz von weniger als 20Hz bezeichnet. Ohne näher auf die recht komplexen technischen Hintergründe einzugehen, kann man vereinfacht sagen, dass dieser nur dann überhaupt vom Menschen wahrgenommen werden kann, wenn er sehr laut ist. Zwar senden auch Windenergieanlagen Infraschallfrequenzen aus, jedoch liegen diese deutlich unterhalb der „Wahrnehmbarkeitsschwelle“. Messungen und Berechnungen ergeben zudem eindeutig, dass bei den erforderlichen Abständen zur Wohnbebauung die Emissionen von WEA nicht mehr von denen anderer Schallquellen unterscheidbar sind. Denn auch Straßenverkehr oder Windböen erzeugen Infraschall! [7] Die Betonung solcher und anderer schnell ausräumbarer Bedenken – Schattenwurf, Brandszenarien – schürt unnötigerweise Ängste und birgt die Gefahr, die Windenergie als Technologie an sich zu diskreditieren. Wir reden hier von einer sehr umweltverträglichen Form der Energiegewinnung, Natur- und unwiederbringliche Landschaftszerstörung findet anderswo statt (bspw. beim Braunkohleabbau). Insgesamt kann eine WEA übrigens bis zu 50 mal mehr Energie erzeugen, als für ihren kompletten Lebenszyklus aufzuwenden ist – Ökobilanz klar positiv. [8]
Wie können wir alle von Windenergie profitieren?
Die Erkenntnis, dass die Eindämmung des Klimawandels dringend geboten ist, ist auch in Warstein mittlerweile politischer Konsens. Hierfür ist eine erfolgreiche Energiewende unerlässlich, mit der Windenergie als wichtigem Standbein. Viele Zukunftstechnologien zur Substitution von fossilen Energieträgern – E-Mobilität, Wärmepumpen oder Wasserelektrolyse (P2G) – benötigen für ihren Betrieb Strom; perspektivisch steigt der Bedarf an sauber erzeugtem Strom also noch. Auch unsere Stadt muss dieser Verantwortung nachkommen. Neben diesem offensichtlichen ökologischen Mehrwert gibt es aber auch Möglichkeiten, wie wir als Bürger*innen profitieren könnten: Es wäre sinnvoll, im Dialog mit möglichen Investor*innen „Betreiber-Nutzer-Modelle“ zu erstellen und damit die Akzeptanz zu steigern – es gibt dafür einige Beispiele. Auch der stark gebeutelte städtische Haushalt könnte aufgrund von neuerlichen Anpassungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG 2021) durch potenzielle Mehreinnahmen profitieren. [9] Trotz mancher Meinungsunterschiede in der Sache ist es uns jedoch wichtig, diese politische Diskussion auf einer konstruktiven Ebene zu führen. Die gerade in der jüngeren der Vergangenheit vereinzelt vorgekommenen Ausfälle tragen letztlich nur zu einer Vergiftung der Gesprächsatmosphäre bei.
Warstein, 25.03.2021
Werner Braukmann (Warsteiner Liste)
Margarete Graskemper-Menke & Lennard Schlöffel (Bündnis 90/Die Grünen OV Warstein)
Sascha Clasen (Fraktion WAL/Grüne)
Quellen
Fotos: privat
[1] „Beschlussvorlage 0006/2019“, Stadt Warstein [2] „68. Änderung des Flächennutzungsplans der Stadt Warstein – Plandarstellung Stand 27.10.2020“, WWK Weil Winterkamp Knopp Partnerschaft für Umweltplanung [3] „Stellungnahme - Öffentliche Auslegung gem. §3 Abs. 2 BauGB“, Kreis Soest, 22.12.2020 [4] „Stellungnahme im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung“, WestfalenWind Planungs GmbH & Co. KG, 21.12.2020 [5] „Resolution der im Warsteiner Rat vertretenen Parteien“, CDU/SPD/WAL/BG/Die Linke/FDP, 20.10.2016 [6] „Artenschutzrechtlicher Fachbeitrag“, Planungsbüro für Landschafts- & Tierökologie Wolf Lederer, 05.11.2020 [7] „Windenergieanlagen – beeinträchtigt Infraschall die Gesundheit?“, Bayerisches Landesamt für Umwelt, 2019 [8] „Ökobilanzen von Onshore-Windenergieanlagen“, Bundesverband Windenergie, 2017 [9] https://www.naturwind.de/eeg-2021-kommunen-werden-finanziell-an-der-windenergie-beteiligt/ abgerufen am 23.03.2021
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